Autor: : Dr. Heinz Fuchsig, Österreichische Berufsgenossenschaft, Umweltreferent der Österreichischen Ärztekammer, Innsbruck

Begonnen hat mein Interesse an gesundheitlichen Auswirkungen durch Gebäude und Technik mit den Diskussionen im Vorfeld des Atomkraftwerks Zwentendorf 1978, das - nach denkbar knapper Abstimmung - niemals ans Netz gegangen ist. Damals war ich 11 Jahre alt. Später als 17-jähriger war ich bei den Protesten gegen das Donaukraftwerk Hainburg als Aktivist vor Ort. Die Art der Diskussionen überzeugte mich nicht – beide Seiten argumentierten aus ihren Sichtweisen, blendeten oft Vieles aus. Heutzutage rächen sich diese Fehler von damals: Obwohl wir erst am Anfang der Umstellung auf Wärmepumpen, E-Autos und elektrische Prozesswärme sind, ist in Österreich seit 1984 der Stromverbrauch um 40 % gestiegen.

Als Medizinstudent interessierten mich vor allem die Effekte der Energieverschwendung (lauter Lärm ist z.B. immer ein Hinweis darauf) und der Chemikalien auf den Organismus. Pharmazeutika verursachen in der Regel neben der gewünschten Hauptwirkung auch unerwünschte Nebenwirkungen – beides muss sorgfältig gegeneinander abgewogen werden. Gleiches gilt für Bau-Chemikalien: Auswirkungen auf die Gesundheit gibt es praktisch immer, sie können im besten Fall harmlos oder sogar leicht positiv sein – wie z.B. ästhetische oder geruchliche Effekte.

„Nachher gescheit sein tut weh – oder ist teuer.“ Deshalb entschloss ich mich als werdender Arbeitsmediziner und Bauherr rasch für den Fernlehrgang Baubiologie IBN. Damals – ca. 1993 – erlebte ich viele Diskussionen im Grenzbereich von „Behauptetem und Verspürtem“ bis hin zu wissenschaftlich erhobenen Zusammenhängen – mit allen damit verbundenen Schwierigkeiten. Nun, als Arbeitsmediziner mit 21 Jahren Berufserfahrung, davon 14 Jahre in der AUVA, der Österreichischen Berufsgenossenschaft für alle Branchen, und als Umweltreferent der Österreichischen Ärztekammer, sehe ich trotz größerer Klarheit immer noch alte Schwierigkeiten - und einige neue.

Zu den altbekannten Schwierigkeiten gehört, dass Zusammenhänge oft schwer nachzuweisen sind und dass Ersatzstoffe oftmals viel weniger erforscht sind als diejenigen Stoffe, die sie ersetzen sollen. Hierzu ein Beispiel: Das Unkrautbekämpfungsmittel Glyphosat steht im Verdacht, krebserregend zu sein und wird für Missbildungen verantwortlich gemacht. Ersatzstoffe mit ausführlicher Prüfung und Testung sind nicht schnell genug in Sicht. Deshalb ist zu befürchten, dass als Ersatz für Glyphosat eine Kombination von Mitteln zum Einsatz kommt, deren Auswirkungen noch viel schwerer zu erforschen sind. Dabei wäre die beste Alternative eine kleinräumige biologische Landwirtschaft.

Selten ist ein einziger Schadstoff oder eine Strahlenquelle als Auslöser von Krankheiten festzumachen. Dem geschulten Auge fallen meist gleich mehrere Störfaktoren und Belastungen auf.

Wie wirken Umweltgifte auf den Menschen?

Zunächst ist allgemein festzustellen, dass Umweltgifte auf vielerlei Organsysteme einwirken können. Sei es auf unsere Hautoberflächen (rund 2 m2) oder Lunge (rund 140 m2 = Tennisplatzgröße, die Dicke der Trennwand zwischen Blut und Lunge beträgt 1/50stel eines Frauenhaares) – wo ständige Reizung den Weg zur Allergie, aber auch Krebs bahnen kann. Davon sind auch alle Schleimhäute, von der Bindehaut bis in die Bronchien betroffen. Ekzeme der Haut kommen vor (siehe Berufskrankheiten der Häuslbauer), sind aber recht selten, ausgenommen das „Hausfrauenekzem“, das vor dem Siegeszug der Waschmaschinen und Geschirrspüler viel häufiger war. Abgesehen vom Verschlucken können Stoffe praktisch nur durch die Lunge – hier aber rasch und oft vollständiger als über den Verdauungstrakt – aufgenommen werden. 10 – 20 kg Luft stehen 2 kg Wasser und 1/2 kg Feststoffaufnahme über die Nahrung pro Tag gegenüber. Die Aufnahme schlechter Luft können wir nur sehr kurz verweigern.

Fettlösliche Gifte können sich bei fehlendem Abbaumechanismus bevorzugt in fettreichen Geweben wie Nervenscheiden und Gehirn ablagern und Beiträge zur Volkskrankheit Polyneuropathie liefern. Durch die demographische Entwicklung sind zunehmend viele Menschen mit einem Alter von über 80 Jahren von solchen kumulativen Schäden betroffen – auch wenn sich die Belastung durch viele Schwermetalle, Lösemittel (vor allem beruflich) und halogenierte Kohlenwasserstoffe deutlich reduziert hat. Leider sinkt die Belastung nicht weiter, was angesichts einiger Entwicklungen, wie der Abnahme der Spermienzahlen oder des Anstiegs hormonempfindlicher Tumoren geboten wäre.

Einigen Umweltgiften sowie elektromagnetischen Feldern wird eine Einwirkung auf das Immunsystem zugeschrieben und damit ein Zusammenhang mit Störungen des NEIS (Neuroendokrinen Immunsystems). Deren Ausmaß abzuschätzen, ist im Zeitalter steigender psychosozialer Belastungen, Ängsten und Verhaltensweisen (durchschnittlich 260 Blicke auf ein Smartphone pro Tag, mehr als 60 % benutzen Bildschirme in der letzten Stunde vor dem Schlaf) schwierig. Wie bei den Kumulativgiften erschwert die lange Einwirkzeit bzw. Latenz bis zum Ausbruch der Erkrankung eine Aufklärung sehr. Solange kein wissenschaftlicher Konsens herrscht, gilt das Vorsorgeprinzip.

Synergieeffekte – ob sich Effekte von Stoffen addieren, multiplizieren oder abschwächen – sind nur begrenzt erforschbar. Es gibt rechnerisch mehr Kombinationen der bekannten häufiger benutzten Chemikalien, als Atome im Weltall vermutet werden. Natürlich erlauben Stoffklassen und Computersimulationen heute ein höheres Maß an Sicherheit, als noch vor 15 Jahren vorstellbar war. Die europäische Chemikalienrichtlinie REACH hat Fortschritte gebracht.

Oxidativer Stress: Etliche Schadstoffe wirken über den Mechanismus des oxidativen Stressors auf den Körper. Dieser hat dafür einige Abwehrmechanismen. Der stärkste ist das Melatonin, das in der Dunkelheit aufgebaut wird. Daher kommt dem Schlafmangel bzw. allen schlafstörenden Faktoren besondere Bedeutung zu.

fass

Die Gesamtkörperbelastung ist in Form eines Fasses dargestellt. Oft führen mehrere gesundheitsschädigende Einflüsse dazu, dass das Fass zum Überlaufen kommt und Erkrankungen die Folge sind.

Dieses vereinfachende Bild darf nicht zu falschen Rückschlüssen führen: Erst einmal ist der Mensch kein Fass - sein Immunsystem und Nervensystem ist höchst komplex. Manche Menschen sind vielen Gesundheitsbelastungen ausgesetzt und werden trotzdem nicht krank. Andere Menschen dagegen erkranken bereits durch eine einzige Gesundheitsbelastung.

Abb.: Prinzip der "Chemischen Sensitivität" nach Prof. Dr. W. J. Res, Dallas

„Berufserkrankungen des Häuslbauers / Sanierers“

Auch hierzu muss betont werden: Die psychosoziale Gesundheit ist oft mehr gefährdet als die körperliche. Jedes Wochenende auf der Baustelle, Überstunden und Multi-Jobbing, um den Hausbau zu finanzieren, Kreditängste und Schuld(en)gefühle belasten jeden Einzelnen, aber auch Partnerschaften oft über die Grenzen des Erträglichen. Nicht selten heißt es dann: Haus fertig, Beziehung fertig – Versteigerung, falls nicht einer der Partner das Haus alleine abzahlen kann.

Gefährliche Chemikalienbelastung fängt schon beim Herrichten eines Kinderzimmers an: Häufig werden kurz vor der Geburt eines Kindes noch neue Böden verlegt, Wände gestrichen und Möbel eingekauft. Auch schwangere Frauen sind den dadurch freigesetzten Chemikalien ausgesetzt; aufgrund einer deutschen Studie hat dies 20.000 zusätzliche Fälle an kindlichen Asthmaanfällen pro Jahr zur Folge. Weitere gesundheitliche Risiken folgen mit dem Einzug von Jungfamilien in noch baufeuchte Wohnungen samt entstehendem Schimmel, noch ausgasenden Lösemitteln und Weichmachern. Mehrere Studien zeigen eine überraschend hohe Belastung unserer Kinder mit letzteren Stoffen – das kommt nicht alles aus Spielzeugplastik. Die Kombination PVC-Boden und Fußbodenheizung oder Besonnung vor allem dunkler Böden kann deren Freisetzung beschleunigen.

Auch falsche Reinigung führt oftmals zur Freisetzung von Chemikalien oder Gerüchen aus Böden (sauer, basisch, …). Auf den Do-it-yourself-Sanierer warten zahlreiche Gefahren: ob Einsturz von Gebäudeteilen oder Böschungen, Absturz von erhöhten Standorten oder unsachgemäß verwendete Leitern, falsch eingesetzte Arbeitsmaschinen oder -chemikalien (Augen- und Atemschutz!). Die Aufklärung im Baumarkt lässt oft zu wünschen übrig und selbst wenn die Gebrauchsanleitung ausführliche Informationen über die zu verwendende Schutzausrüstung oder professionelle Belüftung enthält, sind diese meist nicht zur Hand oder werden nicht gelesen bzw. ignoriert. Spezialchemikalien, die nur für schwierige Anwendungsbereiche gedacht sind und daher immer noch sehr viel an Lösemitteln, potenten Allergenen etc. enthalten, werden für alle möglichen Anwendungen verkauft und verwendet.

Denken wir nur an die Holzschutzmittelprozesse, bei welchen zahlreiche Vergiftungen dokumentiert wurden. Diese Hölzer werden heute bei Sanierungen ohne Lüftung und Atemschutz entfernt oder noch viel schlimmer, abgeschliffen.

Öle auf Naturharzbasis enthalten oft aromatische Öle wie Limonene und andere Terpene, die mit Ozon (Hitzeperiode vor allem Mittags und Abends) zu stark lungenschädigenden Stoffen reagieren oder bei Hautkontakt Allergien verursachen können.

Eine Berufskrankheit, wenn auch nicht von den Berufsgenossenschaften anerkannt, ist das „Hausfrauenekzem“. Das entsteht vor allem durch Überbeanspruchung der Hände durch ständige Nässe, Entfettung durch Tenside und Lösemittel oder Schwitzen unter Handschuhen. Beim Sanieren kann die Kombination Wasser, reizende Stoffe (auch durch Scheuerwirkung von Waschpasten) und Allergene zu unheilbaren Allergien führen.

Besonders rasch reagierende oder härtende Substanzen reagieren mit unseren Oberflächen Haut und Lunge. Zur Vermeidung von Allergien sollten fragwürdige Substanzen nicht verwendet sowie Sicherheitsdatenblätter und empfohlene Schutzausrüstungen (z.B. spezielle Handschuhe für Epoxide) besonders aufmerksam beachtet werden.

belastung

Abb.: Wie kann man sich selbst bei einer Umwelterkrankung helfen?

Zurzeit beschäftigen sich die Umweltmediziner z.B. mit den Einflüssen von Quecksilber aus Amalgamfüllungen, mit Holzschutzmitteln, Nanopartikeln, Feinstäuben, Lösungsmitteln und elektromagnetischen Belastungen.

Besonders umweltgefährdete Personengruppen 

Der Stoffwechsel von Säuglingen ist besonders hoch, die Atem- und Herzfrequenz schnell, die Haut durchlässiger, die Kumulationszeit länger, sodass daraus ein höherer Schädigungsgrad durch einwirkende Gifte resultiert. Zudem krabbeln Säuglinge meist am Boden, wo sich Schadstoffe nicht nur im Staub ansammeln. Sie stecken alles in den Mund – man nimmt an, dass wir in den ersten Lebensjahren ein Kilogramm Staub schlucken. Ultrafeinstaub zum Beispiel tritt selbst über die Plazentaschranke in das Ungeborene über – niedrigeres Geburtsgewicht ist die Folge. Die Nase vieler Säuglinge in Kinderwägen befindet sich in der Höhe der Abgasfahnen daneben fahrender Autos…

Bei Kleinkindern ist die Situation ähnlich, wie bei Säuglingen, wenn auch das Immunsystem schon besser ausgebildet ist. Die Enzyme, die für die Entgiftungsvorgänge verantwortlich sind, befinden sich aber noch in Ausreifung, sodass besonders Schadstoffe in Kinderzimmern, Schulen oder Kindergärten die Kinder stark belasten können. Die jüngere Haut ist noch dünner und transparenter; deshalb ist z.B. Beschattung oder textiler Sonnenschutz weit besser als Sonnenschutzmittel, die meist toxische Bestandteile enthalten.

Gegenüber Männern haben Frauen ein schwächer ausgebildetes Entgiftungssystem. Einige Enzyme, z.B. in der Leber, sind nicht so ausgebildet wie beim Mann. Es ist seit langem bekannt, dass die Frau gegenüber Alkohol eine geringere Toleranzschwelle hat und bei chronischem Alkoholkonsum beispielsweise eher zum Leberversagen und zur Leberzirrhose neigt.

Chronisch kranke Menschen haben oft eine geringere Funktionsfähigkeit der Nieren, der Leber und des Darms; ihnen können Reserven der Lunge, des Gehirns fehlen. Im Alter ist der Stoffwechsel langsamer, sodass Schadstoffe weniger schnell ausgeschieden werden können. Nachdem Leber, Nieren, Darm und Haut unsere Hauptentgiftungsorgane sind, werden chronisch Kranke durch Umweltgifte besonders hart getroffen. Ihr Krankheitsbild verschlechtert sich und oft ist eine Besserung allein durch reduzierte Umweltbelastungen nicht möglich. Eine zusätzliche Belastung entsteht durch eine Vielzahl eingenommener Medikamente, die sich zudem häufig gegenseitig beeinflussen.

Zwei Beispiele:

  1. In einer Schule wird über schlechten Geruch geklagt, der in fast allen Räumen festgestellt wird. Auf Nachfrage gibt es dieses Phänomen seit dem Umbau vor fast 15 Jahren. Es wird erst jetzt angefragt, da 3 LehrerInnen neurologische Probleme haben, die vielleicht mit dem Geruch zusammenhängen könnten?
    Zunächst wird mit den behandelnden Fachärzten der Uni-Klinik Rücksprache gehalten und in der Literatur gesucht. Die Erkrankungen weisen nicht in Richtung (Bau-)Chemie, auch wenn es einzelne Auffälligkeiten gibt (Anreicherung von Lösemitteln im Stammhirn etc.).
    Sicherheitsdatenblätter zu den vorhandenen Böden und Klebern sowie anderen flächig verwendeten Stoffen und Reinigungsmitteln werden übermittelt. Vor Ort wird ein gerade noch akzeptabler Geruch mittlerer Stärke "kunststoffartig" mit der AGÖF-Tabelle festgestellt. Letztendlich wurde ermittelt, dass wohl der alkalisch vernetzte Polyolefin-Boden mittels saurem Reiniger immer wieder „verletzt“ wurde und deshalb geruchlich feststellbare Monomere abgegeben hat. Nach Umstellung der Reinigung mit alkalischen Reinigungsmitteln und Durchführung eines Informationsabends für die Lehrer verbesserte sich die Situation riech- und spürbar.
  2. Innerhalb weniger Jahre wurde bei 4 Schülerinnen einer kleinen Musikschule Brustkrebs diagnostiziert. Ich werde gebeten, mögliche Ursachen zu finden. Reinigungsmittel und verwendete Möbel, Böden etc. gaben nach erster Einschätzung keine endokrinen Disruptoren – also Chemikalien mit hormonartiger Wirkung – ab. Emmissionen von Anrainern, Altlasten in angrenzenden Räumen/Gebäuden oder des Baugrundes konnten ebenso ausgeschlossen werden. Duftsprays etc. wurden nicht verwendet. Eine Erhebung durch den Hausarzt ergab, dass 3 der 4 Damen eine hohe erbliche Belastung hatten.
    Dennoch blieb ein ungutes Gefühl. Ich konnte aber nur zum lüften mit der raumhohen Türe ins Freie vor allem nach längere Zeiten mit geschlossenen Fenstern und Türen raten. Andererseits konnte ich auch die 2 den Raum nutzenden LehrerInnen beruhigen und ihnen glaubhaft versichern, dass nach bestem Wissen und Gewissen kein Risiko vorliegt. Eine Messung der Luft nach längerer Stehzeit oder des Hausstaubes hätte weitere Informationen liefern können, wurde aber leider nicht beauftragt.

Beim Ortstermin versuche ich immer, auch Jahres- und Uhrzeit, besondere Gegebenheiten, vergessene Unfälle oder sonderliche Zustände usw. zu erheben. Die Witterung außen ist ebenso festzuhalten, wie die Nase in Ecken und Winkel zu stecken oder unter Böden oder hinter und auf Kästen zu schauen, wo immer möglich. Zeitliche Zusammenhänge können wertvolle Hinweise liefern. Unbeteiligte Anrainer oder Mitarbeiter können unverfälschte Auskünfte geben – wenn auch nicht immer.

Schlusswort

Die Vermeidung von Dingen ist im Gegensatz zum Verkauf nicht gewinnbringend. Daher waren die Stimmen einfacher Lösungen immer leiser als jene, die „luxury living“ propagieren oder mit „gesünderen Alternativen“ Geld verdienen. Schon ein Weniger oder ein Verzicht auf höchste Sauberkeit können gesundheitliche Belastungen reduzieren. Über alle Diskussionen darf nicht vergessen werden, dass unser Haus Erde durch Klimawandel, Ressourcenausbeutung und Verlust an Biodiversität und viele weiteren Bedrohungen enorm gefährdet ist.